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Gesundheit

Landung im Leben

Young man jumping on the large hill, panning
Young man jumping on the large hill, panning
iStock/technotr

In ganz jungen Jahren war Skispringen für mich zwar ein Hobby, wurde dann aber schnell zu einer Passion, zu meinem Ein und Alles. Doch dann musste ich am eigenen Leib erfahren, dass ein Gleichgewicht mit nur einem einzigen Lebensinhalt unmöglich ist.

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Sven Hannawald

Ehemaliger Skispringer, TV-Experte bei Eurosport und Unternehmensberater 
© Foto: Eurosport/Nadine Rupp

Die diesjährige 65. Vierschanzentournee steht bevor, bei der Österreich mit dem dritten und vierten Sprung in Innsbruck und Bischofshofen Gastgeber ist. Die Tournee war schon immer ein Kindheitstraum von mir. Auf dem Höhepunkt meiner Karriere war es ein Privileg für mich, mich mit den Besten aus Österreich, Deutschland und den anderen Wintersportnationen zu messen. Der professionelle und faire Umgang der Athleten auf Augenhöhe war mir eine große Ehre, zumal er im Skisprungland Österreich stattfand. Damals lernte ich auch Andi Goldberger kennen, mit dem ich heute nach nunmehr 15 Jahren gemeinsam die Skisprung-Weltcups, die Nordische Ski-WM und eben diese Vierschanzentournee kommentieren darf. Er für den ORF, ich für Eurosport. Unsere Kommentatorenboxen stehen direkt nebeneinander.

Höhenflug

Ich empfand Skispringen und Skifliegen als meine Berufung. Die Leidenschaft dafür war grenzenlos, dieser Sport bestimmte mein Leben. Es war schwer für mich, mir bei all der Euphorie und Perfektion Pausen zu gönnen. Ich wollte mich nicht auf Erfolgen ausruhen, hatte immer nur das Ziel vor Augen, den perfekten Sprung zu absolvieren.

Bereits als Zwölfjähriger trainierte ich in einem Internat im ostdeutschen Erzgebirge. An meinem 15. Geburtstag, dem 9. November 1989,  kam durch die Wiedervereinigung Deutschlands die Wende im vertrauten System, die mich dann in ein baden-württembergisches Sportinternat in den Schwarzwald wechseln, aber vor allem die permanente Kontrolle seitens der Trainer verlieren ließ.

In der DDR großgeworden, war ich es gewohnt, strikte Regeln und einen ganz klaren Trainingsplan zu befolgen, der auch Pausen beinhaltete. Das war zwar auch ein Leistungssystem, aber es war vor allem absolut verpflichtend und schrieb eben auch Regenerationsphasen, alternative Sportarten und Beschäftigungen vor.

Nach der Wende fühlte ich mich zeitweise wie alleingelassen und musste lernen, selbstständig Balance halten, wozu mir schlichtweg die Lebenserfahrung fehlte. So waren meine Konzentration auf den Skisprung, das Training und die Wettkämpfe nahezu hundertprozentig, ohne Anregung mal was anderes oder gar nichts zu tun.

Das führte im Zenit meiner sportlichen Karriere phänomenale Erfolge mit sich. Ich schaffte es, alle vier Sprünge „meiner geliebten“ Vierschanzentournee zu gewinnen, was davor und danach bislang noch keinem Athleten gelungen ist. Scheinbar der verdiente Lohn meiner Arbeit, doch keine zwei Jahre später bekam ich von meinem Körper die schmerzhafte Quittung präsentiert: ich hatte Burnout.

Absturz

Ich wollte immer den perfekten Sprung, wollte gewinnen und hätte einen zweiten oder dritten Platz niemals akzeptiert. Einen Sieg mit einem schlechten Sprung genauso wenig. Hoch oben auf diesem Grat der Perfektion kann man kaum zufrieden sein. Und wenn du nicht zufrieden bist, belohnst du dich nicht und alles Positive kommt zu kurz. In der Summe viel zu wenig.

Erfolgsleitern sind leider endlich, sie dauern nur, solange die Kraft reicht. Damals zeichnete sich das bei mir im Sport so ab, dass ich zwar in diesem Olympiawinter 2001/02 alle Wettbewerbe gewonnen hatte, durch die Medien und 15 Millionen Zuschauer über die Grenzen hinaus berühmt, zum Olympiasieger und Werbestar, sogar zum Sportler des Jahres wurde. Doch der Druck, weiter zu trainieren, ließ nicht nach.

Das Verhängnis: die Erfolge gaben meinem Fehlverhalten recht. Aber ich brach immer öfter zusammen, weinte grundlos, meine Batterien luden sich trotz Erholungsphasen und Urlaub nicht mehr auf.

Die finale Diagnose eines psychosomatischen Arztes, eine mehrmonatige Behandlung in der Klinik und viele Jahre der Rehabilition weckten mich glücklicherweise zu neuem Leben. Ich entschied mich 2005, meine Karriere als Spitzensportler aufzugeben und entdeckte in und nach der Therapie wieder längst verdrängte Interessen und Hobbys. Mit professionellem Motorsport und Freizeitfußball habe ich mich ins normale Leben zurück gespielt.

Das Entscheidende war aber das Buch zu meiner Geschichte: „Höhenflüge, Absturz und Landung im Leben“. Die Autobiographie hat mich alles aufarbeiten und letztendlich auch abschließen lassen. Dadurch wurde und wird viel neues, offenes Bewußtsein für die Krankheit Burnout vermittelt, sie wurde sozusagen salonfähiger.

Zurück auf der Schanze

Es lagen noch Jahre zwischen dem Abbruch der Profi-Karriere als Skispringer und meinem heutigen Dasein als Unternehmer auf der Schanze. Nach einem Burnout willst du über Jahre hinweg nicht wieder zurück in deinen Beruf, an den Ursprung deiner Probleme.

In der Anerkennung dieser Krankheit belegen wir in der heutigen, schnelllebigen Zeit gerade einen Crashkurs. Dabei gilt die Faustregel: solange ein Burnout schwelt, bis es erkannt und behandelt wird, mindestens so lange dauert auch die Genesung.

Diejenigen, die Burnout hatten, sind sensibel und achtsam für die Warnsignale geworden und bringen grundlegend mehr Verständnis und Rücksicht für sich selbst auf. Der Stolz, diese Krankheit überwunden zu haben, sollte ähnlich groß sein wie bei einem, der den Krebs besiegt und eine Chemotherapie überstanden hat. Burnout-Patienten ziehen nicht selten Freunde, Familie, Kollegen, manchmal ganze Abteilungen in Unternehmen in Mitleidenschaft.

Die Krux von Burnout sind die vermeintlich unsichtbaren Symptome, die zudem gesellschaftlich positiv besetzt sind: pausenloser Fleiß, permanente Leistungsteigerung, allseitige Beliebtheit, grenzenloses Funktionieren. Deswegen sind auch Mütter öfter Burnout-gefährdet, wenn sie zudem noch im Berufsleben stehen, gar noch allein erziehend – die Kehrseite der Gleichberechtigung der Geschlechter. Wir Menschen werden für Bewegung und in eine analoge Welt geboren, tatsächlich leben wir heute aber fast ununterbrochen sitzend und digital.

Vier gewinnt

Zusammen mit meinem Geschäftspartner Sven Ehricht bin ich nun zurück auf der Skisprung-Schanze und berate Unternehmen mit dem Fokus Betriebliche Gesundheit. Wir schulen Führungskräfte und Mitarbeiter in mehr Achtsamkeit für Regenation und Pausen. Hoch oben auf dem Schanzenturm merken hochausgebildete erfolgreiche Manager am deutlichsten, dass alles endlich ist und man für den beruflichen Weg nach oben unbedingt Balance braucht, der Absturz sonst bedrohlich nahe rückt.

Im Sport sagt man oft: „Never change a winning team!“ Diese Teams gewinnen zwar eine Weile, fallen aber bei ersten Problemen auch schnell auseinander, weil sie keine Ersatzspieler formen, die im Bedarfs- oder Notfall übernehmen können. Bestes Beispiel war der Rücktritt von Ralf Rangnick als erfolgreicher Cheftrainer bei Schalke 04. Das war in der Fußballwelt, die ja keine Schwäche zeigt, ein riesiges Thema.

Für mein Leben ist die Vier zu einer magischen Zahl geworden: Zur Veranschaulichung habe ich das Bild eines Tisches vor mir, der nur durch seine vier Beine stabil und voll belastbar stehen kann. Diese vier Beine sind z.B. Beruf, Familie, Hobbys und körperliche Bewegung. Sind nur drei Beine aktiv, fällt der Tisch bei falscher Belastung bereits um.

Also suche dir mindestens vier wichtige Dinge im Leben, die dir Halt und Balance geben!

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