Werden und Wandel der Gesellschaft sind aktuell geprägt von Berufsleben und Individuation. Der Trend- und Zukunftsforscher Franz Kühmayer eröffnet als einer der einflussreichsten Vordenker der Zukunft der Arbeit neue Perspektiven zur Bedeutung von Menschen und Arbeit.
Franz Kühmayer
Trendforscher, Autor und Vordenker zur Zukunft der Arbeit
Was macht einen Megatrend aus und warum ist Gesundheit einer davon? Ist dieser Trend mehr als nur Selbstoptimierung und Technologie-Gläubigkeit und letztlich Geschäftemacherei?
Megatrends sind die Tiefenströmungen des Wandels in der Gesellschaft. Wir erkennen sie an vier bestimmenden Eigenschaften: Langfristigkeit, Ubiquität, Globalität und Komplexität. Das bedeutet, Trends haben eine Entwicklungszeit von mehreren Jahren, meist sogar Jahrzehnten: sie spielen in allen Lebensbereichen eine Rolle und zeigen sich überregional, wenn auch unterschiedlich stark ausgeprägt. Und schließlich stellen Megatrends evolutionäre Entwicklungen dar, die Rekursionen und Widersprüche in sich tragen. Kurz gesagt: Es gibt nicht den Megatrend des Jahres im Burgenland, sondern wir haben es mit Lawinen in Zeitlupe zu tun, die unser Handeln und unsere Entscheidungen verändern.
Gesundheit steht für beinahe alle Menschen an oberster Stelle der Zielpyramide des Lebens, das ist nichts Neues. Aktuellen Anschub erlangt die Bedeutung der Gesundheit, weil sie am Schnittpunkt einer Vielzahl anderer Megatrends steht, und damit einer der zentralen Kulminationspunkte der Trendforschung ist: Silver-Society, also die Alterung und gleichzeitig stete Verjüngung der Bevölkerung, gehört zu diesen Einflussfaktoren ebenso, wie die Veränderung der Arbeitswelt und die Wissenskultur: Mehr denn je wissen Menschen selbst über ihre Gesundheit Bescheid und wollen das auch im Detail ausreizen, z.B. durch Fitness-Tracker, Smartwatches usw. Der zentralste Antrieb ist jedoch die Individualisierung – wir wollen alle die Nadel sein und nicht der Heuhaufen, und verlangen daher eine höchst persönliche Perspektive auf unsere Gesundheit – da stecken viele Chancen drin, aber auch der Stress, aus dem Überangebot der Möglichkeiten herauszufinden, welche nun tatsächlich die richtige Strategie ist.
Wie verändert dieser Megatrend die Zukunft der Arbeit? Geht es vor allem um die Entwicklung neuer Produkte, Dienstleistungen und Berufsfelder oder geht es auch um die Gesundheit der MitarbeiterInnen?
Zunächst muss man sagen: Das Bild, dass Arbeit krank macht, sitzt noch recht tief. Es stammt aber aus dem industriellen Zeitalter und hat damit auch klar den Verursacher im Blick: Der Arbeitgeber bzw. eben die Arbeit an sich ist schuld. Heute verschwimmen zunehmend die Sphären Arbeit und Freizeit – und damit auch einst sehr klar definierte Grenzen: Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Fremd- und Eigenbestimmtheit. Eine Gesellschaft, die sich zunehmend an immateriellen Statussymbolen orientiert, sieht Arbeit mehr als Selbstverwirklichung und sinnvolle Tätigkeit, denn als bloßen Lebensunterhalt. In vielen modernen Arbeitsbiographien ist nicht mehr klar zu sagen, wer wann wessen Chef ist und ob das Freizeitprojekt nicht auch ein Stück Arbeit ist und vice versa. Folglich ist aber auch immer weniger eindeutig, wo die Verantwortlichkeit zur Gesunderhaltung liegt. Das reine Bekämpfen von arbeitsbedingten Krankheitsbildern greift nicht mehr. So wichtig es ist, die Symptome zu behandeln, so entscheidend für die Zukunftssicherheit wird es sein, den Wandel hin zu mehr Eigenverantwortung zu begleiten. Und dennoch: Wir dürfen da nicht durch die rosa Brille schauen. New Work erzeugt ganz klare Belastungsphänomene, die nicht zur Seite geschoben werden dürfen.
Wie verändert Automatisierung in allen Bereichen die Arbeitsumwelt. Was bedeutet das für Gesundheit am Arbeitsplatz?
Das ist eine zweischneidige Entwicklung: Einerseits trägt Automatisierung enorm dazu bei, Arbeitsplätze gesünder zu machen. Schwere Arbeiten werden durch Maschinen unterstützt, schadstoffbelastete Tätigkeiten können durch Technologie buchstäblich gesäubert werden, und generell findet ein Wandel hin zu Arbeitsformen statt, die uns als Menschen mehr entgegenkommen. So werden erschöpfende Routinetätigkeiten zurückgedrängt und im Umkehrschluss sind soziale und kreative Berufe die großen Gewinner der Digitalisierung. Das spielt uns als Menschen absolut in die Karten, gerade auch beim Thema Gesundheit.
Andererseits haben wir es mit neuen Risken zu tun: Entgrenzte Arbeit kann zu schweren psychischen Belastungen führen. Und ob die VR-Brille ein dauerhaft gesunder Bildschirmarbeitsplatz ist, ist ebenso fraglich wie der Glaube, dass das Hipster-Sofa im Coworking-Space ein ergonomisch korrekter Bürostuhl ist.
Wie können und was müssen ArbeitgeberInnen in dieser Hinsicht leisten? Natürlich wollen und brauchen Unternehmen gesunde MitarbeiterInnen, funktionieren aber letztlich nach wirtschaftlichen Kriterien.
Aus dem sehr utilitaristischen Motiv, dass nur gesunde MitarbeiterInnen wertvolle Arbeit leisten, ist schon in der Vergangenheit viel zum Thema Gesundheit am Arbeitsplatz geschehen. Das bleibt wichtig, denn Wettbewerbsvorteile erringen auch in Zukunft jene Unternehmen, die mentale, emotionale und körperliche Gesundheit fördern. Für sich allein betrachtet reicht das aber nicht. Ein gesunder Arbeitsplatz ist nicht einer, der nicht krank macht oder bei dem auf ausreichende Balance geachtet wird, sondern einer, der Sinn stiftet und damit zur persönlichen Erfüllung beiträgt. Gesundheit ist nicht die Abwesenheit von Krankheit, sondern die Anwesenheit von Glück. Das zu erzeugen, ist ein hohes Ziel, aber Unternehmen müssen anerkennen: Menschen müssen heute nicht mehr um jeden Preis für sie arbeiten, und sie tun es auch nicht mehr. Eben das ist der magische Wertewandel, der dem Megatrend Gesundheit zugrunde liegt.
Wie gehen sie selbst persönlich und am Zukunftsinstitut mit dem Thema Gesundheit um? Themen wie Selftracking bis hin zu Achtsamkeit und Digital Detox bieten viele Chancen, aber auch Gefahren.
Das Zukunftsinstitut versteht sich ja als Hafen, an dem Menschen aus vielen unterschiedlichen Herkünften und Hintergründen andocken, ihre Ideen umschlagen und dann wieder auf das weite Meer hinausfahren. Insofern ist es eine geradezu prototypische Drehscheibe für die Vielfalt, mit der wir mit dem Thema Gesundheit umgehen. Ich habe beispielsweise für mich selbst herausgefunden, dass es mir guttut, mir jedes Jahr eine lange Auszeit zu nehmen, während der ich absolut offline bin, und dafür im Gegensatz in Kauf zu nehmen, dass es unter’m Jahr dann extrem dichte und intensive Arbeitsphasen mit kaum Freizeit gibt. Dieser ganz persönliche Rhythmus ist eine meiner Kraftquellen, aber natürlich kein Vorbild oder gar Blaupause für andere Kollegen. Dass es am Zukunftsinstitut möglich ist, so zu arbeiten, ist eine der wunderbaren Facetten der Arbeit hier.