
Matthias Rüther
Institutsdirektor von JOANNEUM DIGITAL
Hyperspektrale Bildgebung auf Basis von Zeilenkamera-Systemen ermöglicht es, die spektrale Signatur von Stoffen im industriellen Maßstab zu erfassen. Damit entsteht die Möglichkeit, Güter und Reststoffe nach ihrer Materialqualität und Zusammensetzung berührungslos zu beurteilen und zu sortieren. Bisher bestand eine wesentliche Beschränkung in der Datenanalyse, wo komplexe Muster in extrem großen Datenmengen identifiziert werden müssen. Mittlerweile erlaubt es der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI), selbst kleinste Materialunterschiede zu erkennen und Rohstoffe gezielt zu trennen. Dies verbessert sowohl Recyclingprozesse, als auch die Produktqualität.
In Österreich entstehen jährlich rund 70 Millionen Tonnen Abfall, von denen nur etwa ein Drittel recycelt wird. Angesichts eines überdurchschnittlich hohen Ressourcenverbrauchs und der Knappheit von Recyclaten höchster Reinheitsgrade, insbesondere bei Metallen, ist die Rückführung von Rohstoffen in den Kreislauf essenziell. Hier spielt Hyperspectral Imaging (HSI) eine Schlüsselrolle.
Die JOANNEUM RESEARCH verfügt über die Möglichkeit, hyperspektrale Industrie- und Labor-Messsysteme aufzusetzen und deren Datenströme an aktuelle KI-Software anzudocken. Im Rahmen eines strategischen Kompetenzaufbaues wurden Methoden zur Charakterisierung komplexer Wertstoffströme entlang des gesamten Recyclingkreislaufs entwickelt. Ein modulares Hyperspektral-Komponentensystem ermöglicht eine flexible Anpassung der Sensoren an spezifische Problemstellungen, sei es auf Förderbändern, bei Schüttungen oder im freien Fall. Dabei können 3D-Kameras, UV-Kameras, Imaging-Spektrographen sowie NIR- und Multispektral-Kameras nahtlos integriert werden. Die Sensordaten werden durchgängig mit KI-Methoden ausgewertet, um unterschiedliche Wertstoffströme präzise zu trennen. So können beispielsweise verschiedene Kunststoffarten oder Reststofffraktionen exakt identifiziert und den optimalen Verwertungswegen zugeführt werden.
Ergänzend liefert Explainable AI (Erklärbare KI) tiefergehende Einblicke in die Charakterisierung der Materialien. Diese Technologie macht nachvollziehbar, welche Sensorinformationen für die Materialtrennung entscheidend sind, und ermöglicht den Schritt von Laboranalysen hin zu industriellen Anwendungen. So können nicht nur Wertstoffklassen unterschieden, sondern auch Materialparameter wie Festigkeit und Elastizität – etwa bei Kunststoffen.
Die Technologien zeigen auch in anderen Branchen Potenzial, etwa in der Stahlindustrie. Hierbei können Störstoffe und Qualitätsmerkmale von Stahlschrott mittels spektraler Analysen automatisch bewertet werden. Dies optimiert den Chargenmix in der Stahlerzeugung und steigert die Effizienz. Der Einsatz von recyceltem Stahl reduziert zudem den Ressourcenverbrauch und senkt die CO₂-Emissionen um bis zu 75 % im Vergleich zur Verwendung von Primärrohstoffen.
Auch die Textilindustrie profitiert von dieser Technologie. Die Analyse der verwendeten Materialien ermöglicht letztlich deren Auftrennung in sortenreine Faserströme.
Neben Qualitätssicherung und Reststoffsortierung ergibt sich derzeit großes Potential in der Produktverfolgung und Identifizierung. Der digitale Produktpass wird hier die Möglichkeit bieten, spektrale Fingerabdrücke von Produkten zu hinterlegen und damit Einzelprodukte über Fertigungsprozesse hinweg zu verfolgen, oder diese in ihrem späteren Lebenszyklus eindeutig wiederzufinden.